Nach dem Erlebnis vom Vormittag im Wald fühlte sich Liana zu bewegt, zu aufgewühlt, als dass sie nach dem Dienst schlafen gehen wollte. Jedes Mal, wenn sie an diesen bestialischen Schmerz des Stiches mit dem Kugelschreiber zurückdachte, spürte sie heftige Übelkeit. Mit Sicherheit hatte man Traians Eltern auf die gleiche Weise gefoltert, um sie dann gefangen zu nehmen. Schuldgefühle krochen in Liana hoch. Sie fühlte sich für all die Menschen, die Vampire, die Traian gequält hatten verantwortlich.
Traian!
Mit jedem weiteren Wissen um sein Schicksal stieg ihre Sehnsucht bei ihm zu sein, ihm ihre Liebe zu schenken. Als sie die Wohnungstür aufschloss, schlug ihr die Stille mit ihrer Einsamkeit entgegen. Bisher hatte sie immer allein gelebt, was war heute anders als sonst, dass sie damit nicht mehr klarzukommen schien? Gestern hatten Victor und Sergiu ihr zur Seite gestanden. Jetzt gab es nicht einmal mehr den kleinen Veit. Er fehlte ihr sehr. Im nächsten Moment meinte sie nicht mehr atmen zu können, diese Ruhe wirkte geradezu erdrückend. Am besten sie ging gleich noch mal unter Leute. Ihr Blick fiel auf den blinkenden Anrufbeantworter. Ob was mit Veit nicht in Ordnung war? Aber Sergiu hätte sie über ihr Handy angerufen. Sie drückte die Playtaste und hörte Traians Stimme. Ihr Herz schlug augenblicklich viel schneller. Liana schloss die Augen, um seinen Worten zu lauschen.
Traian entschuldigte sich für sein unbedachtes Verhalten vorgestern am Krankenhaus. Als Wiedergutmachung wollte er sie heute Abend um zehn zum Abendessen abholen. Es tat so gut ihn zu hören, vor allem aber die Aussicht, ihn gleich zu sehen, vertrieb die eben noch da gewesenen Gefühle von Einsamkeit.
Es war 21:15 Uhr. Eine Dreiviertelstunde blieb ihr, um sich nett zu recht zu machen. Während sie unter der Dusche stand, überlegte sie, mit Traian über das Erlebnis seiner Gefangennahme aus dem Wald von heute Vormittag zu reden. Bisher waren sie sich lediglich drei Mal begegnet, obendrein auch viel zu kurz, um Traian einschätzen zu können. Diese Angelegenheit war zu brisant. Unter keinen Umständen durfte sie riskieren, das vertraute Verhältnis zu ihm zu gefährden. Wusste sie doch viel zu wenig über seinen psychischen Zustand. Er wirkte zu normal und genau das beunruhigte sie.
Pünktlich klingelte es. Liana schnappte sich ihre Jacke, ihre Handtasche und ging zur Wohnungstür. Ihr Mund war ganz trocken, ihr Herz raste, aber sie fühlte sich wie berauscht. Ihr war nach Tanzen, nach Lachen, danach, die Treppe herunter zu hüpfen, einen Absatz lang tat sie es auch. Darüber musste sie lächeln. Sie meinte, ihr Gesicht würde von allein grinsen, so als hätte sie Drogen genommen. Gleich war sie bei ihm, bei Traian. Als sie die Haustür öffnete, hielt sie kurz inne.
Direkt vor der Tür in zweiter Spur stand ein schwarzes Cabriolet. Mit verschränkten Armen wartete Traian am vorderen Kotflügel des Wagens und schaute die Straße hinunter. Seine Augen blitzten auf, als er sie bemerkte. Jetzt kam er auf sie zu. Liana musste schlucken. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, hätte ihn innig an sich gedrückt, doch eine innere Stimme hielt sie zurück. Traian nahm ihre Hand, küsste den Handrücken.
»Ich bin sehr froh, dich wohlauf zusehen.« Mit der anderen Hand strich er an ihrer Schläfe entlang. »Wie fühlst du dich?«
Im ersten Moment konnte Liana nicht antworten, seine Worte klangen so sanft, so betörend. »Gut, ich denke gut.« Was für ein dämliches Gestotter.
»Dann bin ich beruhigt. Ich bin wirklich untröstlich, was sich da vorgestern abgespielt hat.« Er führte sie an der Hand zum Wagen, öffnete die Tür, ließ ihre Hand jedoch erst los, als sie saß und er die Wagentür von außen zudrückte. Liana schwenkte ihren Blick über das Armaturenbrett, über den Gecko, dabei bemerkte sie, wie ihr Unterkiefer ein Stück nach unten fiel.
Sie saß nicht irgendeinem Auto von der Stange, sie saß in einem echten Wiesmann.
Traian lächelte ihr beim Einsteigen zu. Er sah verändert aus. Seine Haare hingen ihm nicht wie sonst, wirr vor dem Gesicht, sondern waren nach hinten gekämmt, sodass sein anziehendes Gesicht richtig zur Geltung kam. Der schwarze Anzug, mit dem weißen glänzenden Hemd kleidete ihn sehr. Seine leicht behaarte Brust, die durch das nicht ganz zugeknöpfte Hemd sichtbar wurde, übte auf Liana einen besonderen Reiz aus. Ihr Körper schien unter Strom zu stehen, es kribbelte überall.
»Du sieht fantastisch aus.« Wie vergnügt er heute wirkte. Er startete den Motor.
»Wow! Was für ein Klang.« Sie musste lachen. Das konnte sie nur träumen, oder passierte das tatsächlich? Er schmunzelte, es gefiel ihm vermutlich, dass sie diesen Wagen zu würdigen wusste. Der milde Sommerabend, die Fahrt in diesem Cabriolet gemeinsam mit Traian versetzte sie in einen Rausch. Alle dunklen Gedanken der letzten Tage, alle Sorgen verblassten. Als er beim Fahren seine Rechte auf ihren Schenkel legte, spürte sie eine außergewöhnliche Wärme. Sie glaubte, die Welt würde sich langsamer drehen. Sie verstand seine Geste als Aufforderung, deshalb strich sie ihm mit der Linken über seinen Handrücken.
Es knisterte. Derartig konzentrierte Gefühle hatte sie bislang noch nie erlebt. Mit seinen Berührungen rief Traian Empfindungen hervor, die das Schöne und Positive im Leben intensiver werden ließ. Alles andere schien überflüssig und unwichtig zu werden. Liana konnte nicht bestimmen, wie lange sie unterwegs waren, zu sehr genoss sie seine Gegenwart. Beiläufig nahm sie wahr, wie sie in Berlin-Spandau von der stark befahrenen Heerstraße nach links auf einen parkähnlichen Weg abbogen. Für einen Atemzug wurde das Hinweisschild ›Fort Hahneberg‹ vom Scheinwerfer des Autos beleuchtet. Liana fühlte sich jetzt wie wachgerüttelt. Schon oft hatte sie von der alten Festung gehört, aber noch nie war sie hier gewesen. In der Dunkelheit wirkte der Wall zu beiden Seiten des Weges bedrohlich, doch dieses Gefühl verlor an Traians Seite an Gewicht. Was sollte ihr widerfahren, solange er bei ihr war? Für einen Augenblick wurde ihr mulmig im Magen. Zwei Gestalten erkannte sie vor sich auf dem Weg. Langsam fuhr Traian an zwei Männern vorbei, die offenbar gewartet hatten, um hinter dem Wagen das massive Metalltor wieder zu schließen. Liana schaute kurz zurück.
»Wovor fürchtest du dich?« Traian fuhr im Schritttempo auf das Hauptgebäude zu.
»Tue ich ja gar nicht!« Sie schluckte. Ob er ihre Gefühle spüren konnte? Liana betrachtete die ruinenhafte Fassade ohne Fensterscheiben, die im Scheinwerferlicht unheimlich aussahen. Nach ihren Kenntnissen gab es hier kein Restaurant. Der Wagen fuhr durch eine große Toreinfahrt mit einer leichten Steigung direkt in das Gebäude hinein. Im Licht des Scheinwerfers lag ein breiter Tunnel vor ihnen. Mit sandfarbenen Steinen gemauert wölbte sich die halbrunde Decke über ihnen. Wie geheimnisvoll das wirkte. Dann bog Traian an einer Kreuzung nach links und hielt an. Zu allen vier Seiten verlief die Tunnelführung weiter.
»Komm, steig aus.« Das Standlicht ließ Traian brennen, so erkannte Liana den sandigen Boden, auf dem er sie zur Tunnelkreuzung zurückführte. Vier gemauerte Bögen kreuzten sich in der Mitte der Decke, wie in einem Kreuzgang.
»Stell dich an die Wand«, forderte Traian sie auf. Er selbst ging zur gegenüberliegenden Wand, wandte ihr dabei den Rücken zu. »Du bist wunderschön!« Liana hielt den Atem an. Es war, als würde er direkt neben ihr stehen, so deutlich konnte sie seine leisen Worte verstehen und doch lagen bestimmt sechs oder sieben Meter zwischen ihnen.
»Das ist unglaublich.«
Er nickte. Mit einem Lächeln kam er auf sie zu. »Eine beeindruckende Architektur. Hast du Hunger?« Liana wusste nicht, was sie antworten sollte. Diese Ruine beinhaltete mit Sicherheit kein Luxusrestaurant. Vermutlich dachte Traian eher an ein nächtliches Picknick. Sie musste ihre Erwartungen herunter schrauben. Um keinen Preis wollte sie ihre Enttäuschung offenbaren, zumal ein Picknick viel romantischer sein konnte.
»Ja.«
Er nahm ihre Hand, führte sie am Wagen vorbei, den Gang entlang, der schneller im Freien endete, als sie anfangs vermutet hatte. Ein sanfter Lichtschein fiel seitlich auf den Sandboden. Mit jedem Schritt gewann sie den Einblick auf den offenen Platz, der nun vor ihr lag. Ein riesiger Kloß schürte Liana die Luft ab. Sie bemerkte, wie ihr Tränen der Rührung in den Augen standen.
Noch niemals hatte jemand Derartiges für sie auf die Beine gestellt. Noch nie hatte sie das Gefühl, als würde sie vor Glück über den Boden schweben.
»Traian!« Mehr war sie nicht in der Lage von sich zu geben. Ein festlich gedeckter Tisch mit Silberbesteck und Kristallgläsern funkelte zwischen den vier Feuerschalen. Zu beiden Seiten des Tisches standen zusätzlich drei Bambusfackeln.
»Darf ich bitten?« Traian verbeugte sich vor ihr, führte sie dann zu ihrem Platz, der mit roten Rosenblütenblättern bestreut war. Um den Stuhl, auf dem Tisch, überall lagen Blütenblätter. Traian ergriff ihre Hände, um sie auf seine Brust zu drücken.
»Ich bedaure zutiefst, dich verletzt zu haben.« Sie spürte dabei seinen Herzschlag und er schien mit ihrem in einem Rhythmus zu schlagen. Während seine Rechte weiter auf ihren Händen lag, strich seine Linke über ihre Verletzung am Kopf. Die Wunde kribbelte, kitzelte, als würde sie augenblicklich abheilen. Liana schloss die Augen. Sie genoss seine Berührung, sehnte sich nach mehr. Allein seine Nähe machte süchtig.
»Verzeihst du mir?«
»Ich habe es doch längst vergessen.« Jetzt schaute sie auf, ihm in die großen hellbraunen Augen, in denen sich das Feuer der Fackeln spiegelte. Schnell schwenkte er seinen Blick auf ihr Haar. Das alles hier schien ihr wie ein Traum. Dieses Glück, Traian offensichtlich einiges zu bedeuten, empfand Liana als ausgefallenes Geschenk des Lebens. Sein charmantes Lächeln rief Schwindel in ihr hervor, dass sich der Boden unter ihren Füßen zu drehen begann.
Traian wusste sie um den Finger zu wickeln. Mit diesem köstlichen Sechsgängemenü würde sie ihm jede Sünde verzeihen, wobei sie ihm diese Verwechslung nicht wirklich übelgenommen hatte. Die Feuerschalen um den Tisch erzeugten eine angenehme Wärme, sodass Liana ihre Jacke zum Essen auszog. Sanft, im Hintergrund, spielte romantische Musik und die beiden aufmerksamen Kellner eilten sofort herbei, wenn Liana auch nur mit dem Finger zuckte. Es war alles perfekt. Nach dem Essen machte Traian eine ernste Miene, sein Lächeln verschwand.
»Erzählst du mir, was dich in dieses Krankenhaus geführt hat?«
»Ich ... ich weiß es eigentlich nicht so genau.« Diese Antwort war zu dürftig. Das verdiente Traian nicht. »Nein! Das stimmt nicht.« Sie schluckte, wenn er ihre Angst fühlen konnte, dann bestimmt auch eine Lüge von ihr. »Die Wahrheit ist, dass ich zwei markierte Kartenausschnitte gefunden habe. An beiden Orten sah ich Szenen, die sich dort abgespielt haben müssen.« Plötzlich meinte sie, sich im Wald wieder zu finden, spürte den Kugelschreiber zwischen den Rippen.
»Du bist in Sicherheit.« Sie bemerkte seine starken Arme um ihren Oberkörper, seinen Atem, seinen langsamen und doch kräftigen Herzschlag. Er stand hinter ihr und hielt sie fest. In seinen Armen geborgen zu sein, empfand sie als das größte Glücksgefühl, was sie sich vorstellen konnte.
»Ich ahnte nicht, dass meine Frage dich derart bewegt.« Dabei strichen seine Finger über ihre Wange. Ihr ganzes Gesicht zehrte davon. »Ich werde dich nach Hause fahren, in Ordnung?«
Lianas Erinnerungen waren längst verblasst. »Nein! Bitte nicht! Halte mich fest.« Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut, der sich wie elektrisiert anfühlte. Dieser Körperkontakt vermittelte ihr das Gefühl, als würde Traian mit seiner Ausstrahlung eine tiefe alte Wunde heilen, an dessen Schmerz sie sich bereits gewöhnt hatte.
Die Ereignisse der letzten Tage brachten Traians Vorhaben durcheinander. Liana hatte sein Herz erobert, viel mehr noch, sie gab seinem Leben einen Sinn. Ihren schlanken Körper in seinen Armen halten zu dürfen, ihren süßen Duft einzuatmen, ihren Herzschlag zu lauschen, versetzten ihn in einen Zustand, der Zufriedenheit und Euphorie zugleich war. Es kam ihm vor, als würden diese Empfindungen etwas in ihm auffüllen, was sehr lange leer gewesen war. Sie war für ihn Licht und Hoffnung in der Dunkelheit, sie war Weg und Ziel im Labyrinth des Lebens. Als er sich an diesem Morgen schlafen legte, kreisten seine Gedanken lediglich um Liana. Er nahm sich fest vor, seine Pläne in den Hintergrund zu drängen, um mehr Zeit mit Liana zu verbringen.
Am nächsten Abend begann er mit seinen Beobachtungen der Ärzte, Prof. Dr. med. Hartung, seiner Tochter Dr. med. Kathleen Hartung sowie dem Neurologen Prof. Dr. Ivor Jurischenkow aus der Lindower Klinik. Die Reihenfolge seine Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen, erschien ihm neben den Gedanken an Liana bedeutungslos. Nachher wollte er sie besuchen. Doch Traian vertiefte sich in seine Beobachtungen der privaten und sportlichen Gewohnheiten der Ärzte, ihre Wege zur Klinik, zum Einkaufen sowie persönlich Unternehmungen, dass er darüber hinaus alles andere vergaß. Nur wenige Kilometer von der Lindower Klinik entfernt, entdeckte er eine alte leerstehende Großfleischerei. Die drei fensterlosen Kühlräume mit massiven Metalltüren boten sich geradezu als Gefängniszellen an. Besonders gelegen kamen ihm die armdicken Wasserrohre, die unter der Decke durch die Kühlräume führten. Die Kühlanlage funktionierte natürlich nicht mehr, der Strom war längst abgeschaltet. Aber für sein Vorhaben benötigte er auch keinerlei Technik. Für die Drei schmiedete er genaueste Pläne, wie die Zukunft dieser Mediziner auszusehen hatte. Ähnlich wie bei Klingberger und dem Krankenpfleger, plante er, seine Peiniger um den Verstand zu bringen. Sie sollten zumindest ansatzweise nachempfinden können, wie er damals unter ihren Experimenten gelitten hatte, welche Schmerzen er ertragen musste. Kein Einziger aus dem Team hatte auch nur einen Funken Mitleid gezeigt. Seine Eltern und er wurden als Objekte betitelt, als wären sie gefühllose Lebewesen. Respektlos, ja regelrecht unwürdig, waren die Ärzte mit ihnen umgegangen. Lediglich wenn die zu erforschenden Körperbereiche besonders stillgehalten werden sollten, gab es eine örtliche Betäubung, was jedoch selten vorkam. Die Höllenqualen der zahlreichen Operationen hatten ihn oft in düstere Alpträume befördert. Es gab einige Situationen, wo er sogar um seinen Tod, um Erlösung gebettelt hatte. Doch keiner dieser Mediziner hatte Erbarmen gezeigt. Nun war es an der Zeit, das Blatt zu wenden, diesen eiskalten Menschen eine Lektion zu erteilen.
Ein paar Tage nach dem gemeinsamen Abendessen mit Liana durchfuhr Traian ein Ruck, als er beobachtete, wie sie nachts um die Lindower Klinik spazierte. Was tat sie hier? Ständig schaute sie sich um, als suche sie etwas. Vielleicht wartete sie auf jemanden. Traian hielt den Atem an, denn er fragte sich, warum sie ausgerechnet hier auftauchte. Gab es womöglich doch eine Verbindung zwischen Liana und dem Ärzteteam? Als Medizinerin, als Mensch, gehörte sie zu den verachtenswertesten Wesen dieser Welt. Und wenn sie nur seinetwegen gekommen war? Was, wenn sein Verstand, mit Rache benebelt, wieder seinen Instinkt ausschaltete? Doch woher sollte Liana seinen Aufenthaltsort kennen? Jetzt wurde ihm erst bewusst, dass er viel zu viel Zeit hatte verstreichen lassen, in der er schon längst Liana besucht haben wollte. Sein Vorhaben erschien ihm in diesem Moment wie eine Sucht, über die er alles andere vergaß. Augenblicklich überfiel ihn die Sehnsucht nach ihr. Um seine restlichen Zweifel zu ersticken, um ihre Reaktion zu testen, heraus zu bekommen, ob sie nach ihm suchte, schlich er lautlos aus dem Gebüsch und folgte ihr.
Als sie sich das nächste Mal umdrehte, zuckte sie zwar zusammen, doch sie wirkte nicht überrascht ihn zu sehen. »Traian!« Es klang eher nach einer Erlösung. »Ich habe dich so sehr vermisst.« Als sie das sagte, glaubte er Tränen in den Augenwinkel zu entdecken.
Diese Worte meinte sie aufrichtig, sie zeigte keine Anzeichen von verschleierten Empfindungen. Vorsichtig nahm er sie in den Arm, nicht zu fest, denn er musste seine Kräfte ihr gegenüber nicht demonstrieren. Durch seinen Körper strömte dieses Gefühl von Geborgenheit, von tiefer Zufriedenheit vor allem aber diese innere Hitze, die ihm heilend vorkam. Seine zweifelhaften Gedanken von eben erschienen ihm an ihrer Seite so lächerlich. Jetzt legte er seine Hände auf ihre Wangen, sah ihr tief in die Augen, nur für einen kleinen Moment, dann schloss er sie. Seine Lippen berührten ihren Mund, sanft, zärtlich, bis Liana diese Geste erwiderte. Ein magisches Kitzeln verteilte sich in seinem Kopf, rann wie ein Wasserfall seine Brust, seinen Rücken herunter und sammelte sich zwischen den Beinen. Seine Sinne explodierten zu neuen Empfindungen, die ihm bislang vergönnt gewesen waren. Er meinte zu schweben, zu fliegen und alles Dunkle in ihm verblasste.
Sie löste sich von ihm. »Traian!« Sie schluckte, als wollte sie ihre Gefühle vertreiben. »Dieser wundervolle Ausflug mit diesem köstlichen Essen«, sie schaute kurz nach unten, dann ihm in die Augen, »ich werde diesen Abend in meinem ganzen Leben nicht vergessen. Vergleichbares hat noch nie jemand für mich getan.«
Traian spürte ein Lächeln auf seinen Lippen. Sein Einfall mit dem Dinner und dem besonderen Wagen war offenbar gut angekommen. »Um mich für mein Verhalten vor dem Krankenhaus zu entschuldigen, war es angemessen!« Liana senkte ihren Blick, sie flüsterte, »ich hielt es für mehr, als nur für eine Entschuldigung.«
Erneut nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sanft ihren Mund, »wie Recht du hast.« Mit diesem Kuss wurde ihm klar, wie sehr er Liana vermisst hatte, nur war er zu ablenkt, um es wahrzunehmen.
Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust. »Jeden Tag, den ich ohne dich sein muss, ist eine Qual für mich.«
Traian nickte, wie gut diese Worte das trafen, was auch er empfand. »Weißt du, ich hatte zu tun.« Das klang nach einer menschlichen Ausrede.
Sie strich mit ihrer Hand seine linke Wange entlang. »Du hast eine unglaubliche Wirkung auf mich.« Von dieser Aussage hätte er gern mehr.
»Habe ich das?«
Ihre Finger lagen auf seiner linken Schulter. »An dem Tag, wo du Klingberger niedergestreckt hast, war ich ganz durcheinander.«
Was sagte sie da? Sie erinnerte sich an die Begegnung, die er ihr aufgetragen hatte zu vergessen. Das fühlte sich nach einer heftigen Ohrfeige an. Verlor er jetzt seine hypnotischen Fähigkeiten? Seine marternden Schmerzattacken waren bestimmt schuld daran.
Verdammt!
Damit platzten seine Rachepläne. Er konnte seine Peiniger nicht durch einen hypnotischen Befehl das Leben zur Qual werden lassen. Er spürte brodelnde Wut in sich hochkochen.
Liana ergriff seinen Oberarm. »Was habe ich denn gesagt?« Er bemerkte seinen flachen Atem, seine bebenden Nasenflügel.
»Traian?«
Schnell musste er seinen Gedanken sammeln und reagieren. Zumindest ihr gegenüber sollte er sich unauffällig verhalten. Liana durfte nichts merken. Er schluckte. »Verzeih, ich war abgelenkt.«
Sie musterte intensiv sein Gesicht. »Abgelenkt?« Sie nahm seine Hand. »Es sind Kopfschmerzen, die dich quälen, nicht wahr?«
Er konnte die Überraschung in seinen größer werdenden Augen genau spüren. »Nein!« Er schüttelte dazu den Kopf, hoffte, dass es sie überzeugte.
»Bei unserer ersten Begegnung hast du das Bewusstsein verloren, ist dir nicht klar, wie gefährlich das für dich werden kann?«
Verdammt! Hatte sie denn gar nichts vergessen? Er versagte in jeder Hinsicht. Ein Vampir ohne hypnotische Fähigkeiten, das war wie ein Zauberer ohne Magie, wie ein Wein ohne Geschmack.
»Bitte, Traian ...«
Seine Wut über seine Unfähigkeit kochte in diesem Moment über. Ihm war nach einem lauten Schrei der Verzweiflung zumute, doch Liana gegenüber wollte er das nicht zeigen. Bevor er sein Gesicht verlor, flüchtete er blitzartig in den Wald. Ohne seine Hypnose kämen seine Peiniger ungeschoren davon und eine Alternative fiel ihm in seinem Zorn nicht ein. Seine Inkompetenz als Vampir bohrte sich wie ein beißender Schmerz in sein Inneres. In seiner Rage jagte er durch den Wald, immer weiter, ohne stehenzubleiben. Erst als das erste Licht des Tages am Horizont erschien, suchte sich Traian einen Platz zum Ausruhen. Plötzlich fiel ihm etwas Bedeutendes auf.
Bei Klingberger hatte seine Hypnose gewirkt, auch bei dem Krankenpfleger. Es musste an Liana liegen, an ihrer seherischen Gabe. Dann lag das Problem gar nicht bei ihm.
Ja! Denn an dem Abend war sie seinen Anweisungen gefolgt und nach Hause gefahren. Vermutlich hielt es bei ihr nicht so lange an, wie bei gewöhnlichen Menschen. Diese Erkenntnis war für Traian eine enorme Erleichterung.
Am nächsten Abend geschah etwas Unerwartetes. Traian ging an der Zufahrtsstraße von der Klinik entlang, als neben ihm ein roter Volvo anhielt. Die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite fuhr nach unten und die Fahrerin beugte sich zu ihm rüber. »Kann ich Sie mit in die Stadt nehmen?«
Traian benötigte einen Moment, bis er antworten konnte. »Gern.«
Die Autofahrerin öffnete von innen die Tür und Traian stieg ein. »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Das war zu verrückt, passierte das gerade wirklich oder träumte er? Das übertraf die Möglichkeit mit Klingberger im Wald bei weitem.
»Ach, kein Problem. Ich muss bis zur Schönhauser Allee. Wo kann ich Sie absetzten?«
Diese Gelegenheit war ein Geschenk, das er annehmen sollte. »Eine gute Frage, Frau Hartung.«
Sie schaltete das Fernlicht ein, »Sie waren doch eben bei meinem Kollegen zur Untersuchung, richtig?«
Das wurde ja immer besser, sie verwechselte ihn. Traian schaute seine Fahrerin an. »Ich denke eher nicht.«
Sie wirkte jetzt leicht nervös, »dann verwechsele ich Sie wohl.« Traian konnte ihr ansehen, wie ihr plötzlich etwas auffiel.
»Woher kennen Sie meinen Namen?«
Wie großartig sich ihre wachsende Nervosität anfühlte. »Deinen Namen habe ich mir sehr gut eingeprägt, während du mir das Knochenmark aus dem Hüftknochen gekratzt hast.« Traian war darauf vorbereitet, als sie eine Vollbremsung hinlegte, und stemmte sich gegen die Konsole.
Erschrocken schaute sie auf. »Was wollen Sie?«
Diese malzige Note der Furcht wurde mit jedem Atemzug intensiver. »Auch in der Zeit, als du mir die Reißzähne gezogen hast, was du überflüssigerweise sieben Male wiederholtest, prägte ich mir deinen Namen gut ein.« Traian konnte ihren rasenden Puls hören. Sie starrte ihn noch immer an. »Du wirst alles tun, was ich dir auftrage. Zuerst fahren wir zu mir.« Traian musste sich den Weg nur vorstellen, um seine Peinigerin zur Großfleischerei zu leiten. Er führte sie in einen der leerstehenden Kühlräume und kettete sie an die alten Wasserrohre, um ihren hypnotisierten Zustand zu beenden. Nach diesem Abend würde sie vermutlich nie wieder einen Anhalter einsammeln. Diese Situation war fast komisch. Er überlegte sich einen Plan, sie hierher zu locken und sie lud ihn ein, mit ihm zu fahren.
Kathleen Hartung zerrte an ihren Handschellen, sie schrie und kreischte, dass Traian die Ohren weh taten. Er ging derzeit nach draußen. Nach zwei Stunden war sie sichtlich am Ende ihrer Kräfte. Sie bäumte sich noch mal auf, als die Fledermäuse sich ihrem Hals näherten. Doch Traian packte sie am Haarschopf, zog den Kopf zur Seite, um seinen kleinen Freunden das Abendbrot zu servieren. Anschließend trank er selbst ihr süßes Blut. Dann ließ er sie allein in der Dunkelheit zurück. Um alle Spuren von sich zu lenken, fuhr Traian den roten Volvo zu einem Waldweg, der nahe der Stadtgrenze lag. Dort schloss er den Wagen ab, um den Eindruck zu erwecken, sie sei spazieren gegangen, was die Ärztin an der Stelle wirklich öfter tat. Die Begegnung mit dem Auto von Kathleen brachte Traian auf eine Idee.
Er wartete an Ivor Jurischenkows schwarzem BMW, auf dem er vor einigen Tagen den Unfall mit dem Unbekannten verfolgt hatte. Als der Neurologe über den Parkplatz zu seinem Auto ging, sprach ihn Traian von hinten an.
»Guten Abend Jurischenkow.« Traian hoffte, der Mediziner würde sich umdrehen, was er tatsächlich auch tat. »Immer noch Freude daran, epileptische Anfälle zu verursachen?«
Der Mediziner sah ihm ins Gesicht. »Was«, dann in die Augen. Bingo! »Erlauben Sie sich?«
Traians Plan ging auf. »Du wirst meinen Befehlen folgen.« Jurischenkow musste sich in den Kofferraum legen und Traian genoss den Spaß, diesen spritzigen Wagen allein zur Großfleischerei zu fahren. Neben dem Kühlraum, wo Kathleen vor sich hin schluchzte, kettete Traian den Neurologen ebenfalls an die Wasserleitung. Auch er spendete, wenn auch unfreiwillig, sein Blut für eine großzügige Mahlzeit. Traians Zufriedenheit schwand jedoch schnell. Unentwegt redete Jurischenkow von einem großen Durchbruch in der Medizin, die man ja nur ihm zu verdanken hätte.
Durch den russischen Akzent beförderte jedes Wort dieses Mannes alte Wunden zutage. Vergangene Stromversuche sowie Versuche mit Spinnengiften, die unter anderem heftigen Nervenschmerzen verursachten, wuchsen zu einem wachen Alptraum heran, dem Traian entkommen musste. Er hätte Jurischenkow einfach hypnotisieren können, aber damit würde er die kommenden Stunden nicht bewusst erleben und diese Genugtuung wollte sich Traian für nichts in der Welt nehmen lassen.
Jetzt fehlte noch Hartung in seinem Trio. Alle in einem Gebäude vereint und doch voneinander getrennt. Unerreichbar, so wie er damals von seinen Eltern. Mit dem BMW fuhr er auf den Parkplatz zur Klinik zurück. Dort stellte er das Auto geschlossen ab, als sei der Neurologe noch hier. Traian überlegte, wie er bei Hartung vorgehen sollte. Es war erst Mitternacht, noch genügend Zeit, um heute den dritten Kühlraum zu besetzen.
Wie er seinen Blick zum Wald schweifen ließ, fiel ihm der orangefarbene Ford - Focus auf.
Liana! Augenblicklich spürte er sein Herz warm werden. Eigentlich passte ihm ihr Erscheinen so gar nicht. Ausgerechnet jetzt, wo er sich Hartung persönlich schnappen wollte.
Aber das konnte warten. Wieder wurde ihm bewusst, dass er den Besuch bei Liana durch seine Rachepläne verdrängt hatte. Heute brauchte er nicht ihre Reaktion testen, musste sie nicht erschrecken. Vom Parkplatz aus ging er den Weg hinunter auf sie zu. Als sie ihn kommen sah, rannte sie auf ihn zu. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, warf sie sich an seinen Hals. Diese Geste fühlte sich für Traian nach einem heilenden Regen für seine Seele an.
Sie begehrte ihn. Mit einem tiefen Atemzug drückte er ihren Körper vorsichtig an sich.
»Oh, Traian. Ich kann nicht mehr ohne dich sein.« Ihre Stimme wirkte beruhigend auf ihn. Sie klang so aufrichtig, doch in den nächsten Worten lag eine merkwürdige Anspannung. »Ich muss mit dir reden.« Er löste die Umarmung. Das hörte sich ernst an. Interessiert sah er ihr ins Gesicht.
»Heute in der Zeitung – standen Einzelheiten zu den drei Opfern, die von den Fledermäusen gebissen wurden.«
Das war ihm so was von egal. »Ja und?« Sie hatten das bekommen, was sie verdient hatten.
»Traian! Versteh doch. Die ganze Gegend ist in Aufruhr wegen dieser Vampirfledermäuse. Die Polizei geht den Spuren gewissenhaft nach. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dahinter kommen, dass all diese Opfer etwas gemeinsam haben.«
Verdammt! Traian fühlte sich geohrfeigt, beschloss aber, vorerst nichts zu zugeben. Ihm blieb es rätselhaft, woher Liana Kenntnis von seinen Taten, von der Verbindung zu den Opfern hatte. Was kapierte er hier eigentlich nicht? Sollte Liana in der Lage sein, seine Gedanken zu lesen? Lag seine Seele offen, wie ein aufgeschlagenes Buch vor ihr? Die Überlegung ließ ihn zurückschrecken.
»Nein!« Fest ergriff sie sein Handgelenk. »Diesmal läufst du nicht davon. Du wirst mir jetzt zuhören.«
Für ihn wäre es ein Leichtes gewesen, sich zu befreien, einfach zu verschwinden. Doch Liana wollte er nicht ständig vor den Kopf stoßen. Das verdiente sie nicht.
»Ich habe in einer Vision erlebt, wie sie dich damals angeschossen, dir die Milz verletzt und dich gefangen genommen haben. Ich weiß von diesen schändlichen Versuchen.« Lianas energischer Tonfall ließ ihn innehalten. »Gott, Traian, ich kann deinen Hass auf diese Menschen verstehen.« Ihr flehender Blick berührte sein Inneres. »Aber damit bringst du dich selbst in Gefahr. Diesmal werden es keine Ärzte, sondern Polizisten sein, die dich einsperren.« Sie schluckte. »Ich habe Angst um dich, Traian.«
Es war unglaublich, woher diese Frau das alles wusste. Er bemühte sich, ein Lächeln aufzulegen. »Meinst du nicht, dass du mich mit jemandem verwechselst?«
Leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. »Verflucht noch mal, das ist nicht komisch.« Wenn Liana wütend wurde, war sie einfach zum Anbeißen. Traian konnte sich nicht zurückhalten. Er beugte sich zu ihr, näherte sich mit seinen Lippen ihrem Mund. Er wollte ihr zeigen, wie sehr auch er sie begehrte. Er entwaffnete damit Liana, das war ihm bewusst, doch in dieser Situation schwelgte er förmlich in seiner Überlegenheit. Er spürte dieses herrliche Kribbeln in seinem Gesicht, wie es einen Rücken herunter strömte. Ihm war, als würden winzig kleine Ameisen über seinen Hintern krabbeln, bis nach vorn, wo alle Nervenenden des Glücks ihr Gegenstück suchten. Traian verlor das Gefühl, im Hier und Jetzt zu sein. Erst, als er etwas über seinem Kopf bemerkte, kehrte er in die Wirklichkeit zurück.
Er versuchte seine eifersüchtigen Freunde mit einer Handbewegung zu verscheuchen, was aber nur dazu führte, dass Liana sich von dem Kuss, von ihm löste. Demonstrativ hängten sich die drei Fledermäuse an seinen Ärmel. Lianas Blick wechselte zwischen Traians Gesicht sowie den Tieren hin und her.
Er war ertappt, spürte leichte Hitze in sich aufsteigen. Heftig schüttelte er seinen Arm, um seine Freunde zum Fliegen zu zwingen. Sie gaben ein leises Quietschen von sich, als wollten sie ihm etwas mitteilen.
Liana schaute ihn bitterernst an. »Bitte Traian. Warte eine Weile, bis Gras drüber gewachsen ist.«
Jetzt half nur noch, sich den Tatsachen zu stellen. »Sag mir, woher du so viel über mich weißt.« Er spürte auch ein wenig Erleichterung. Liana verurteilte seine Taten nicht.
»Ich habe Visionen. Eigentlich erst seit kurzem. Sie zeigen mir alles Mögliche über dich. Ich weiß, welche Qualen hinter dir liegen«, sie nahm seine beiden Hände, »ich möchte dir helfen, Traian. Lass mich dich untersuchen. Bitte.«
Untersuchen???
Eine merkwürdige Enge breitete sich in seinem Hals aus. Ihm schien die Luft zum Atmen zu fehlen.
Niemals!!!
Seine Blackouts, seine Kopfschmerzen fielen ihm ein. Tatsächlich musste er eventuell eines Tages jemanden aufsuchen, der ihm helfen konnte und wenn dieser Tag kommen sollte, dann käme nur Liana dafür in Frage. Seine Beschwerden hatten mit Sicherheit irgendwo eine Ursache. Darüber hatte er bisher aber noch nie nachgedacht: Zuerst sollte er sich langsam mit dem Gedanken einer möglichen Untersuchung anfreunden. Bereits in diesem Moment kamen ihm bei dieser Überlegung hunderte von grusligen Erinnerungen, die sich alle gleichzeitig vor seinem Auge abspielten.
Schluss!
»Später«, hörte er sich flüstern. Liana sah ihm direkt in die Augen. Es wäre ein Leichtes sie zu beeinflussen, aber er wollte sie genauso, wie sie war und nicht geistig unter seiner Führung. »Ich werde zu dir kommen.« Außerdem sollte sich Liana bei ihm sicher fühlen, keine Angst vor psychischer Manipulation haben.
»Danke.« Sie flüsterte. »Dass du mich nicht zu hypnotisieren versuchst.«
Woher wusste sie das nun schon wieder? Vor dieser Frau blieb nichts verborgen. Andererseits war es ja bekannt, dass Vampire Menschen hypnotisieren konnten.
»Ich muss jetzt gehen.« Er zog sie in eine letzte Umarmung, küsste sie zum Abschied, bis beide heftig atmeten. Mit einem Ruck löste sich Traian von ihr und verschwand im Wald.
In der nächsten Nacht lockte Traian Günter Hartung auf die gleiche Weise in die Großfleischerei, wie es ihm mit Jurischenkow einen Tag zuvor gelungen war. Durch Liana war er gewarnt und wollte der Polizei keine überflüssigen Spuren hinterlassen. Die asphaltierte Straße hinterließ keinerlei Reifenspuren, die er hätte verwischen müssen. Während Hartung in der dritten Kühlkammer ebenfalls an die Wasserrohre gefesselt war, brachte Traian das Auto zurück auf den Krankenhausparkplatz, um auch hier den Eindruck zu erwecken, der Arzt habe das Gelände nicht verlassen. Als er zu seinen Gefangenen zurückkehrte, drang ein dumpfes Kreischen durch die Tür des ersten Kühlraumes.
Kathleen hatte offensichtlich wieder Kraft gefunden. Traian ging ihre schrille Stimme auf die Nerven. Als er die Tür öffnete, verstummte sie zunächst, dann begann zu weinen.
»Lass mich gehen!« Sie holte Luft, »bitte!«
Er stellte sich vor sie auf, »Hast du eine Ahnung, wie oft ich diese Worte bei euch wiederholt habe?«
Kathleen verlor auffallend ihre Gesichtsfarbe. »Ich – weiß nicht – es tut mir leid.«
»Nein, hast du nicht! Du warst von allen am seltensten dabei.« Traian fiel auf, wie sehr die Anwesenheit seiner Opfer seine Vergangenheit aufleben ließ. »Mit diesem Atemzug beginnend, Kathleen Hartung, werden zu jedem Vollmond heftige Fieberschübe mit massiven Gelenkschmerzen deinen Tag bestimmen. Diese Beschwerden werden zum Neumond langsam abklingen.« Zur Sicherheit wiederholte er seine hypnotischen Worte dreimal. Mit diesem Schicksal sollte seine Peinigerin nicht mehr in der Lage sein, ein normales Leben zu führen. Anschließend ließ Traian sie gehen.
Nun konnte er sich den beiden anderen widmen, ohne diese akustische Störung. Hartung und Jurischenkow mussten abwechselnd für die Mahlzeit der Fledermäuse vor allem für Traian selbst ihr Blut lassen.